Mit einer Kundgebung erinnert „Wake Up-Stand Up!“ am Jahrestag des Pogroms von Rostock-Lichtenhagen an den marodierenden Mob und dessen Verdrängung aus dem kollektiven Gedächtnis. Mit historischer Geräuschkulisse durchbrach die Kampagne die Kontinuität des Vergessens.
Eine grölende rassistische Meute, klirrende Scheiben, eine handlungsunfähige Exekutive, eine auf dem rechten Augen blinde Judikative und Legislative, welche dem “Volksmob” im Nachgang noch zustimmte, sind aussagekräftige Beschreibungen, die an das Pogrom von Lichtenhagen erinnern lassen. Damals tobte der wütende „Volksmob“und marodierte vor der Zentralen Aufnahmestelle für Asylbewerber_innen (Zast) und dem Flüchtlingswohnheim für vietnamesische Vertragsarbeiter_innen. Bewaffnet und ausländerfeindliche Parolen skandierend oder durch Beifallsbekundungen unternahmen Lichtenhägener_innen, Rostocker_innen und angereiste Aktivisten_innen 1992 den Versuch, ihre „Volksgemeinschaft“ durch die gewaltsame Vertreibung oder Tötung vermeintlich “Fremder” herzustellen. Heute, 19 Jahre nach den symbolträchtigen Ereignissen scheinen Einige, die damaligen Geschehnisse und vor allem die Beteiligung der lokalen Bevölkerung vollkommen aus ihrem Gedächtnis verdrängt zu haben. So äußerte sich ein vermeintlicher Anwohner am Rand der Veranstaltung, dass bei den Ausschreitungen keine Rostocker_innen zugegen gewesen seien und diese letztlich “nur” Entgleisungen legitimen Bürgerprotests dargestellt hätten – scheinbar ein Zeitzeuge der Geisteshaltung von 1992.
Eben jene Verdrängung zeigt die Sehnsucht nach einer nationalen Kuschelecke auf. So werden die Ausschreitungen zum Teil entweder im Stile eines Michael Andrejewskis zum „Volkszorn“ umgedeutet oder eine Beteiligung der lokalen Bevölkerung geleugnet. Dass Teile der dort lebenden Bevölkerung sich nicht mit den Geschehnissen auseinandersetzen wollen, zeigt deutlich, dass jene Ideologie, die das Pogrom erst ermöglichte, noch immer – nicht allein in Lichtenhagen – gegenwärtig ist.
Gerade solche Begegnungen verdeutlichen die Notwendigkeit den Ort der Ausschreitungen in einen Ort des Mahnens umzuwandeln. Genau mit diesem Ziel hielt die Kampagne „Wake Up-Stand Up!“ am heutigen Tag eine Kundgebung vor dem Sonnenblumenhaus ab. Während bereits am vergangen Freitag eine ähnliche Kundgebung in der Innenstadt stattfand und die Stadtverwaltung einer öffentlichen Vorführung des Films „The truth lies in Rostock“ an einer Lichtenhägener Schule nicht zustimmte, entschloss sich die Kampagne zu einer weiteren Kundgebung direkt in Lichtenhagen, um auch dort deutsche Zustände anzuprangern. Mehr als 100 Teilnehmende erinnerten vor einer eindrucksvollen Geräuschkulisse und pointierten Redebeiträgen an die damaligen Ausschreitungen und forderten sowohl von der lokalen Bevölkerung als auch von der Stadt Rostock eine umfassende Auseinandersetzung und Aufarbeitung der regionalen Geschichte. Mit Flyern und der Akustik wurden die Anwohner_innen mit den Ereignissen von 1992 konfrontiert und über die heutige skandalöse Asylpolitik informiert. Neben der Aufforderung zu mahnen wurde auch auf die tiefe Verankerung rassistischen Denkens und die Kontinuität neonazistischen Agierens in Mecklenburg-Vorpommern hingewiesen. Neben den Erkenntnisresistenten erhielt die Veranstaltung aber auch regen Zuspruch. So entschlossen sich zahlreiche Menschen, die in den benachbarten Aufgängen wohnen, ebenfalls an der Kundgebung teilzunehmen. Mit der heutigen Veranstaltung erinnerte die Kampagne “Wake Up – Stand Up” erfolgreich an die damaligen Geschehnisse und setzte ein deutliches Zeichen gegen neonazistische Ideologie.